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2. Kolumne Aargauer Zeitung: Aufstehen, Wunden säubern, weiterfahren

26.12.2019 21:41

Drei andere Aargauer Athleten (Oliver Hegi - Kunstturnen, Ciril Grossklaus - Judo, Michelle Heimberg - Wasserspringen) und ich schreiben wöchentliche Kolumnen in der Aargauer Zeitung über unseren Weg Richtung Tokio 2020. Im Folgenden meine zweite Kolumne:

Wie würden Sie anhalten, wenn Ihr Fahrrad keine ­Bremsen hätte? Optimaler­weise liessen Sie es einfach ausrollen, bis es von selbst still steht. Weniger angenehm wäre jedoch, wenn Sie von jemand anderem unfreiwillig zu Boden gerissen würden.
Wenn Sie eine Jobbeschreibung eines Bahnradfahrers lesen würden, dann würde beim Kleingedruckten das Sturz­risiko wohl nicht fehlen. Unsere Bahnräder sind aufs Mini­malste reduziert. Sie be­sitzen keine Bremsen und nur einen starren Gang. Kommt also jemand vor einem zu Fall, gibt es oft kein Aus­weichen mehr. Dies passierte mir nun gleich in drei Weltcups hintereinander. Zuerst in Glasgow, dann ein wenig später in Neuseeland und zum Dritten, nur ein paar Tage danach, in Australien.
Ob Europa oder Ozeanien, ich glaube an der Erdanziehungskraft kann es nicht liegen. Die zwei letzten Stürze waren fast identisch. Der letzte Kilometer des Rennens war angebrochen. Drei Runden vor Schluss ist das Tempo knapp 60km/h hoch. Das Fahrerfeld ist so dicht aufeinander, dass man schnell mal die Ellbogen der Nebenfahrerin spürt. Macht dann nur eine Fahrerin eine unglückliche Bewegung und touchiert jemanden, entsteht ein Dominoeffekt und das Scheppern beginnt. Unsere Rennanzüge sind nichts als ein leichter Stoffüberzug.

Deshalb sind solche Stürze sehr unangenehm. Das Resultat sind im besten Fall Hautverbrennungen, Schürfungen, Prellungen. Nachdem das Adrenalin verpufft ist, beginnt aber erst die eigentliche Tortur.
Eine Radrennbahn in der Halle besteht aus sibirischem Fichtenholz. Das erste was man also beim Samariter nach dem Sturz macht, sind die Holz­splitter aus der Haut ziehen.
Da diese Bahnen immer ein wenig staubig sind, kleine Pneupartikel oder Dreck sonstiger Art auf der Ober­fläche liegt, geht dies natürlich mit in die Wunde. Schritt Nummer zwei ist also das Ausbürsten der Wunde. Oft kombiniert mit der Dusche nach dem Rennen. Zähne­knirschend muss man das Säubern durchstehen.
Da man oft nicht nur ein ­Rennen am Wochenende hat, muss man weiterkämpfen. In Neuseeland gelang mir dies weniger gut. Die geringe Erholungszeit verhinderte, dass ich meine volle Leistung abrufen konnte. In Australien waren die Schmerzen weniger gross und es lief etwas besser. Trotzdem waren die Resultate ebenfalls nicht zufrieden­stellend. Da die Weltcups im Hinblick auf die Olympia­qualifikation sehr wichtig sind, haben wir leider mit den vergangenen Rennwochen­enden einen Schritt zurück gemacht. Es warten nun noch zwei Chancen auf uns, einen Quotenplatz zu ergattern.
Bis dahin pflege ich meine Blessuren weiter. Schritt ­Nummer drei: Wunden ent­weder zugedeckt lassen und immer wieder neu säubern. Oder man lässt sie an der Luft trocknen und salbt Tag für Tag nach. Das dauert jedoch. Ausserdem klebt man oft an der Bettdecke oder an den Kleidern. Deshalb fand ich nun eine neue Methode: Antiseptisches Babypuder daraufstäuben. Hilft beim Ein­trocknen und so fühlt man sich wie neu geboren.

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   2. Kolumne Aargauer Zeitung

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